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Schängel 9.6.1999

Wiesbadener Kurier 28.2.1991



 

Rezension zu Cagliostro von C.K., 1991:

 

Angesichts einer Fülle von Erstlingsromanen, die Lesernähe auch dadurch dokumentieren, dass das Ausdrucksvermögen ihrer Verfasser das ihrer Leser nicht nennenswert übersteigt, überrascht es angenehm, wenn ein neuer Autor sich durch differenzierte Sprachbeherrschung legitimiert, Anschaulichkeit und Prägnanz, eine sprachliche Variationsbreite, die alte Formen adaptieren kann, ohne historisierend oder prätentiös zu wirken, machen es dem Leser leicht, in die Welt des Buches hineinzufinden.

 

Gleichwohl: ein Stoff aus dem 18. Jahrhundert, als Held der kaum noch bekannte Scharlatan Giuseppe Balsamo alias Graf Cagliostro – gibt es nicht schon zu viele Romane, die das Publikum mit Leihgaben aus der Kleiderkammer der Geschichte abspeisen?

 

„Cagliostro“ von Jens Korbus ist, obwohl in vielem exakt recherchiert, kein historischer Roman. Sein Held erscheint bei schärferm Hinsehen sogar als ein sehr moderner Sozialtypus. Er brauchte nur das Kostüm zu wechseln, dann könnte er heute, als Anbieter dubioser Therapieworkshops etwa, ins Psychogeschäft einsteigen. Phasen beschleunigter Entwicklung, beginnender sozialer Umbrüche mit der zugehörigen Normenunsicherheit bieten günstige Wachstumsbedingungen für diesen Typ. Er zeigt – zumindest nach außen – eine imponierende Selbstsicherheit, zieht die kurze Schiene zum schnellen Geld der mühsamen Ochsentour vor, schlängelt sich durch aufgebrochene Lücken des sozialen Systems in vor kurzem noch unzugängliche Gesellschaftssphären – und bleibt auf halben Weg stecken, stirbt schließlich, ohne das große Geld jemals auch nur berührt zu haben.

 

Giuseppe Balsamo kommt aus einer palermitarischen Kleinhändler-Familie. Der frühe Tod des Vaters zwingt die Mutter zu unternehmerischer Initiative: sie eröffnet eine kleine Badestube. Als Helfer in diesem Betrieb lernt der Sohn einiges über die Relativität gesellschaftlicher Distanzen. Er macht die Erfahrung, dass gerade fragwürdige Dienstleistungen ihren Mann durchaus ernähren können. Als die Behörden das diskret florierende Geschäft schließen, führen seine Abneigung gegen harte und regelmäßige Arbeit und sein noch unklarer Hang zum Höheren den jungen Giuseppe auf die erste Stufen einer geistlichen Karriere und eignet sich die Anfangsgründe der Alchemie, vor allem aber Elementarwissen über die Möglichkeiten der Manipulation in zwischenmenschlichen Beziehungen. Weil der Junge unter dem Einfluss des klösterlichen Sozialklimas eine leichte Bewusstseinsspaltung entwickelt – die Mönche diagnostizieren an den Symptomen Falschheit und Beredsamkeit ein Leiden, das Merkur verursacht – muss er das Kloster verlassen. Er schlägt sich eine Zeit lang in den Randzonen zwischen Gelegenheitsarbeit und Kleinkriminalität durch, muss mehrfach die Wohnorte wechseln und geht schließlich nach Rom. Zufall oder Verwechslung bringen ihn in Kontakt mit den Freimaurern. Von deren Vokabular und rituellen Umgangsformen eignet er sich so viel an, dass er später eine angebliche Zugehörigkeit zu dem einflussreichen, intereuropäisch verbreiteten Geheimbund zur Kontaktaufnahme mit der guten Gesellschaft nutzen kann.

 

In Rom lernt er auch Lorenza kennen. Die Beziehung mit ihr erschließt ihm einen Teil seiner Person, der ihm bis dahin unzugänglich war. Lorenzas sozialer Ehrgeiz, ihr Vertrauen in Giuseppes Fähigkeiten und sein eigenes gewachsenes Selbstvertrauen ermutigen ihn, nach der Heirat eine Betrügerkarriere größeren Stils zu beginnen, die durch ganz Europa führt.

 

Der Zeitgeist ist sein nützlichster Komplize. In den kleinen Residenzen langweilt sich die Hofgesellschaft bis zur Erbitterung. Das Bedürfnis nach Zerstreuung ist gewaltig, läge diese auch nur auf dem Niveau einer höheren Jahrmarktsbude. Während die Hochaufklärung die Mathematisierung der Welt anstrebt, den Menschen als Maschine beschreibt und am liebsten alle diffusen irrationalen Funktionen mit dem Skalpell aus den Gehirnen schneiden würde, wenn die erforderlichen Techniken nur zu Gebote ständen, ist das Publikum der clarté schon überdrüssig geworden: Goldmacherei, Krankenheilung durch Magnetismus, magische Manipulationen aller Art haben Hochkonjunktur. Die Postmoderne scheint gleichzeitig mit der Moderne einzusetzen, Esoterik ist angesagt.

 

In dieser Gesellschaft unter geistigem Modernisierungsschock findet Cagliostro das ideale Betätigungsfeld. Sein zentrales Arbeitswerkzeug ist eine hochentwickelte Empathiefähigkeit; er kann in die Innenwelt seiner Gegenüber eingleiten. Vor allem kennt und nutzt er das immense Bedürfnis nach Selbstbestätigung, auch um den Preis der Selbsttäuschung.

 

Der Roman zeigt indessen weniger die Triumphe als die erbärmliche Innenseite der Schwindlerexistenz. Immer in Sorge, wie die Wirtshaus- und Kutschenrechnungen zu prellen wären, durchquert Cagliostro mit seiner Lorenza Europa von Süden nach Norden, die fadenscheinige Prunkt-Garderobe notdürftig in Hutschachteln verpackt. Ständig ist er auf der Suche nach dem großen Coup, nie gewinnt er mehr als Kost und Logis, allenfalls eine Handvoll Goldstücke. Die Angst vor Entlarvung treibt ihn weiter, die nagende Spekulation, ob seine Künste nicht noch ein paar Tage ausgereicht hätten, lässt ihn zögern, wenn der Wagen schon bestellt ist.

 

Diese Gratwanderung zermürbt Cagliostro schließlich und zerstört auch seine Beziehung zu Lorenza. Sie, die Tochter eines Gürtelmachers, die aus dem Gerberlaugengestank des väterlichen Hauses hinauswollte, hatte Giuseppe gewählt, als er noch ein Niemand war. Sie ist seine einzige Bezugsperson, nur ihr vertraut er. Sein Misstrauen erwacht, als er feststellt, dass ihr die Anpassung an die höfische Welt souveräner gelingt als ihm selbst. Er setzt sie als Lockvogel ein, aber sie soll ihm keinen Grund zum Zweifel an ihrer Treue geben. Gerade in der relativ erfolgreichen Phase verliert er den inneren Kontakt zu ihr. Ihr gegenüber versagt seine Fähigkeit, sich einzufühlen, als habe die geschäftliche Nutzung dieser Gabe ihn zum spontanen Gebrauch unfähig gemacht. Nach der Rückkehr in die italienische Heimat tragen Lorenzas Indiskretionen gegenüber einem zweifelhaften Beichtvater dazu bei, Cagliostro der Inquisition auszuliefern.

 

An der Darstellung dieser eigenartigen Beziehung, in der die Partner gemeinsam eine Karriere aufbauen wollen und gerade daran als Paar scheitern, zeigt sich aber auch eine Schwäche des Romans. Es bleibt zu vieles skizzenhaft, als habe der Autor sich nicht zu eindeutigen Schwerpunktsetzungen entschließen können. Das Episodisch-Stoffliche drängt sich, besonders im zweiten Teil, zu stark vor, während psychologisch interessante Konstellationen oft nur angerissen werden. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Erzählweise. Die Ich-Erzählung ist dem egomanen Helden durchaus angemessen, sie bringt aber die Gefahr mit sich, dass vor allem die Zentralgestalt des Erzählers Plastizität und Tiefenschärfe gewinnt. Es finden sich jedoch durchaus auch genau und amüsant gezeichnete Nebenfiguren, wie die resolute Witwe, die mit britischem Pragmatismus per Zeitungsannonce einen bezahlten Lover anzumieten wünscht. Cagliostro, der im frühindustriellen, bürgerlich geprägten London kein Parkett für seine magischen Schwindeleien findet, kann auf einem Tiefpunkt seiner Laufbahn auch diesen harten Bissen nicht ausschlagen.

 

Neues Deutschland 23.3.1991

Rhein-Zeitung 18.1.1989


Rhein-Lahn-Zeitung 16.9.1988

Rhein-Zeitung 29.11.1988

Rhein-Zeitung 10.11.1988